Deutsche Rüstungskontrollpolitik
Rüstungskontrolle und Abrüstung - viele assoziieren diese Begriffe immer noch mit einer längst vergangenen Zeit, mit Gipfeltreffen der Supermächte in Wien und Reykjavik und der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Es sind aber immer noch und wieder ganz aktuelle Themen. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind auch Kernpunkte sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik. Während der Entspannungs- und Ostpolitik waren sie Instrumente der Krisenbewältigung und Plattform für einen institutionalisierten Dialog zwischen unterschiedlichen politischen Systemen und Weltanschauungen. Aus deutscher Perspektive spielten Abrüstung und Rüstungskontrolle nach dem Zweiten Weltkrieg immer eine herausgehobene Rolle, schon um die Gefahren der Ost-West-Konfrontation abzumildern. Auf dem Gebiet der beiden deutschen Staaten befand sich die weltweit stärkste Konzentration sowohl an konventionellen als auch nuklearen Waffen.
Nach einem Jahrzehnt der Abrüstung, das 1987 mit dem INF-Vertrag begann und 1997 mit der Chemiewaffenkonvention endete, steigen die Militärausgaben seit 1998 wieder deutlich an. Laut SIPRI-Jahrbuch 2007 wurden im Jahr 2006 ca. 900 Milliarden Euro weltweit für militärische Zwecke ausgegeben. Das waren 3,5 Prozent mehr als 2005. In den letzten zehn Jahren sind die Rüstungsausgaben damit weltweit um 37 Prozent gestiegen. Die USA liegen dabei mit großem Abstand an der Spitze: Auf sie entfallen mit 396,2 Milliarden Euro, 42 Prozent der globalen Rüstungsausgaben. Auch beim internationalen Waffenhandel ist seit 2002 ein Anstieg um 50 Prozent zu verzeichnen.
Fast 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges lagern weltweit noch gut 30.000 nukleare Sprengköpfe. Die mehrfache Vernichtungskapazität der Menschheit hat sich seit 1989 also nur unwesentlich verringert. Dafür ist die Verteilung der Massenvernichtungswaffen brisanter geworden. In den Planungsstäben der Großmächte erlebt die Atombombe eine strategische Renaissance. Nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit befinden sich die führenden Militärmächte wieder längst in einem neuen atomaren Rüstungswettlauf, der dringend gestoppt werden muss.
Zudem lässt sich nicht leugnen, dass sich Abrüstung und Rüstungskontrolle heute in einer tiefen - vielleicht sogar existenziellen - Krise befinden. Hat Rüstungskontrolle damit als Instrument der Gestaltung der internationalen Beziehungen ausgedient? Eindeutig nein! Es führt jedoch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass wesentliche rüstungskontrollpolitische Errungenschaften in Gefahr sind, von denen in erster Linie Europa bisher erheblich profitiert hat. Weder der angepasste KSE-Vertrag (AKSE), noch der atomare Teststoppvertrag (CTBT) sind in Kraft. 2005 scheiterte die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Auch die zunehmende Verbreitung von Raketensystemen aber auch die Raketenabwehrpläne der USA geben Anlass zu großer Sorge.
Die Diagnose ist eindeutig: Das gesamte System internationaler Beziehungen und Verträge, das die Weiterverbreitung von Waffen verhindern soll, ist akut einsturzgefährdet. Es stammt noch aus einer Zeit der Übersichtlichkeit, nämlich des Kalten Krieges. Dabei war das atomare "Gleichgewicht des Schreckens" beileibe nicht so stabil und ungefährdet, wie es im Nachhinein scheinen mag. Laut dem Bulletin of Atomic Scientists gab es in den vergangenen Jahrzehnten vier nukleare Fehlalarme. 1979, 1980, 1983 und 1995 hatten demnach entweder die USA oder Russland die Finger gefährlich nah am Abzug. Der Ost-West-Konflikt war zudem eine zeitlich begrenzte Ausnahmesituation. Hier trafen zwei seltene Dinge zusammen: militärisches Gleichgewicht und Rationalität der politischen Führer. Von beidem kann heute keine Rede mehr sein. Heute treten Regionalmächte auf den Plan, die ihre Machtinteressen ohne jegliche Einordnung in ein Ost-West-Schema verfolgen. Zwar hat die Gefahr eines "nuklearen Weltkrieges" abgenommen, gleichzeitig treten aber an die Stelle dieser klar zu bestimmenden Bedrohung bisher unbekannte Gefahren für die internationale Sicherheit: schwache und instabile Staaten, die mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet sind, oder nicht-staatliche Akteure, die immer mehr an Bedeutung gewinnen. Als neue Herausforderung für die Rüstungskontrollbemühungen erweisen sich zunehmend die Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols, die Verminderung der Zerstörungswirkung von Waffen und die Reduzierung ihrer Kosten. Mit der Überwindung des Kalten Krieges scheint auch weitgehend das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Erhalts des geschaffenen Rüstungskontroll-Acquis wie auch weiterer Anstrengungen im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle verloren gegangen zu sein. Aber es sind weiterhin die bestehenden multilateralen Verträge, die die Grundlage für eine kooperative Sicherheitsordnung darstellen.
Die Bundesrepublik hat in der Vergangenheit in der NATO, EU, G8, IAEO, den Vereinten Nationen und in nuklearen Rüstungskontrollforen, wie z. B. der Überprüfungskonferenz zum NVV 2005, vielfach einen wichtigen und konstruktiven Beitrag zur nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle geleistet. Auch im Rahmen der Gespräche um das Atomprogramm des Iran hat die Bundesregierung mäßigend auf die Akteure eingewirkt. Nicht zuletzt bemüht sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier erkennbar, z. B. in der deutsch-norwegischen NATO-Initiative vom 7. Dezember 2007, im Bereich der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle außenpolitische Spielräume zu nutzen. Dass es auf dem NATO-Gipfel am 3./4. April 2008 gelang, Abrüstung und Rüstungskontrolle als genuine Aufgabe der NATO in das Abschlusskommuniqué von Bukarest mit aufzunehmen (Ziffer 39 der Gipfelerklärung von Bukarest) und die bislang noch skeptischen Partner USA und Frankreich einzubinden, ist nicht zuletzt ein Erfolg der deutschen Diplomatie.
Die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen einschließlich ihrer Trägermittel sowie die Bemühungen um ihre Abrüstung mit dem langfristigen Ziel der endgültigen Abschaffung stehen dabei im Mittelpunkt der rüstungskontrollpolitischen Bemühungen der Bundesregierung. Grundlage ist dabei die Verpflichtung zu einem kooperativen Ansatz, der auf multilateralen Normen und Regimen basiert, diese stärkt und fördert. Dies entspricht auch den Prinzipien der am 12. Dezember 2003 verabschiedeten "EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen", die seit ihrer Verabschiedung unter maßgeblicher deutscher Mitwirkung zu einer umfassenden und kohärenten Grundlage für die Nichtverbreitungspolitik der Europäischen Union geworden ist.
Dabei hat die deutsche Sozialdemokratie auch von der Expertise und vom Sachverstand der Friedensforschung und des IFSH profitiert. Die enge programmatische Zusammenarbeit lag auch darin begründet, dass von 1984 bis 1994 mit Egon Bahr, der Architekt der sozialdemokratischen Ost- und Entspannungspolitik, als Direktor des IFSH amtierte. "Gemeinsame Sicherheit", "Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" und Konzepte zu einer "Europäischen Sicherheitsgemeinschaft" wurden von Ihm zusammen mit seinem Nachfolger Dieter S. Lutz, Reinhard Mutz und den Mitarbeitern des IFSH erarbeitet. Reinhard Mutz selbst hat durch seine Arbeiten zu den MBFR-Verhandlungen, zur europäischen Sicherheit (hier insbesondere die kritische Begleitung der Entwicklung der Bundeswehr zur Interventionsarmee, die Rolle der NATO nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sowie seine Studien zu den jugoslawischen Erbfolgekriegen bis hin zu seinen jüngsten Publikationen zu Kosovo und Afghanistan) und nicht zuletzt als Mitherausgeber der jährlich auf der Bundespressekonferenz präsentierten Friedensgutachten öffentliche Aufmerksamkeit bis in den Bundestag und den Auswärtigen Ausschuss hinein erlangt.
Im Folgenden soll anhand einiger Punkte - die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben - begründet werden, warum Abrüstung und Rüstungskontrolle nach wie vor unabdingbar für die Gestaltung einer friedlichen Weltordnung bleiben. Es handelt sich dabei um bewährte Instrumente, die nicht leichtfertig aufgegeben oder gar für untauglich erklärt werden sollten, sondern die vielmehr auch zur Bewältigung der neuen Herausforderungen und Bedrohungen taugen - sofern der politische Wille dazu vorhanden ist. Nicht zuletzt auf Druck der SPD findet sich die Bekräftigung dieses politischen Willens auch im Koalitionsvertrag wieder. Dort heißt es: "Vertraglich abgesicherte Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Anliegen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir halten an dem langfristigen Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest. Wir setzen uns für nukleare Abrüstung und die Stärkung des internationalen Nichtverbreitungsregimes ein. (...)"
Die Krise des atomaren Nichtverbreitungsregimes überwinden
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden Kernwaffen nicht mehr ausschließlich als Mittel der Abschreckungspolitik erachtet, sondern auch wieder als eines der Kriegsführung. Mit der fortwährenden Modernisierung ihrer Arsenale stellen nicht nur die USA, sondern auch Russland, China, Frankreich und Großbritannien die Abrüstungsverpflichtung aus Art. VI des Atomwaffensperrvertrages in Frage und rücken von dem durch die Überprüfungskonferenz 2000 im Konsens verabschiedeten 13 Punkte-Aktionsplan für nukleare Abrüstung ab. Trotz gegenteiliger Bekenntnisse im UN-Sicherheitsrat sind immer weniger Kernwaffenstaaten bereit, Zusicherungen des Nichteinsatzes abzugeben und behalten sich stattdessen sogar das Recht vor, Atomwaffen notfalls auch präventiv einzusetzen. Statt dem vertraglich verankerten Ziel einer ?nuklearwaffenfreien Welt? näher zu kommen, droht vielmehr eine "Renuklearisierung" der Weltpolitik. Wir brauchen dringend neue Impulse bei der nuklearen Abrüstung. Ein Scheitern der NPT-Überprüfungskonferenz 2010 muss verhindert werden. Die 13-Punkte-Aktionsplan enthält die notwendigen Maßnahmen für weitere Schritte im Bereich der nuklearen Abrüstung. Dazu gehören das rasche Inkrafttreten des Atomteststopp-Abkommens (CTBT), die Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot von spaltbarem Material für Waffenzwecke (FMCT) sowie die Mahnung an die fünf offiziellen Atommächte ihre 1995 bekräftigten Abrüstungsverpflichtungen umzusetzen. Das multilaterale Vertragssystem wird weiter erodieren, wenn bestimmte Staaten oder Staatengruppen Vertragspflichten und -rechte einseitig zu ihren Gunsten interpretieren bzw. nicht einhalten. Nordkorea und Iran jedenfalls haben aus dem Irakkrieg offenbar die Lehre gezogen, dass es die beste Versicherung gegen eine US-Invasion ist, möglichst rasch selbst zur Atommacht aufzusteigen. Schnell könnten die Atomprogramme dieser beiden Problemländer eine verheerende Kettenreaktion auslösen. Japan und Südkorea werden kaum untätig zusehen und weder die Türkei noch die sunnitischen Herrscher Saudi-Arabiens und Ägyptens dürften es in Kauf nehmen, dass sich der schiitische Iran mit Atomraketen zur unangefochtenen Regionalmacht im Mittleren Osten aufschwingt.
Die fünf durch den Atomsperrvertrag anerkannten Kernwaffenstaaten (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) verfügen nach wie vor über schätzungsweise 12.300 einsatzbereite Nuklearwaffen. Wollte man sämtliche Atomsprengköpfe zählen (also auch solche, die in Reserve gehalten werden), dann besitzen diese fünf Staaten rund 30.000 Stück. Die strategischen Nuklearwaffen, mit denen die Supermächte während des Kalten Krieges einander den multiplen atomaren Overkill garantierten, sind heute jedoch so gut wie bedeutungslos. Jeder Rest-Abschreckungszweck wäre durch ein paar hundert Bomben abgedeckt. Es ist durchaus auch als Fortschritt zu bezeichnen, dass die USA und Russland seit 1990 die Zahl ihrer Atomsprengköpfe drastisch reduziert haben. Jedoch sind weitere Schritte vonnöten. So läuft zum Beispiel am 5. Dezember 2009 der START-Vertrag von 1991 aus, der die Reduzierung der strategischen Raketen beider Seiten um ein Drittel oder auf maximal 6.000 vorsieht. Falls keine Nachfolgeregelung gefunden würde, entfiele die einzige noch gültige Rechtsbasis für die Inspektion der Arsenale beider Atommächte. Bis Ende 2008 muss nun entschieden werden, ob der Vertrag durch einen neuen ersetzt, modifiziert oder ob er in der bestehenden Form um weitere fünf Jahre verlängert werden soll. Darüber hinaus haben im Jahr 2002 der amerikanische und der russische Präsident den Moskauer Abrüstungsvertrag (SORT) geschlossen. Er sieht bis zum Jahr 2012 die Reduzierung der Zahl der strategischen Gefechtsköpfe auf je 1.700 bis 2.200 vor. Der Vertrag hat allerdings mehrere Haken: Die abgerüsteten Gefechtsköpfe müssen nicht zerstört, sondern nur eingelagert werden. Nach Auslauf des Vertrages 2012 dürfen alle eingelagerten Gefechtsköpfe wieder stationiert werden. Außerdem kann der Vertrag jederzeit innerhalb von 90 Tagen gekündigt werden. Der Vertrag ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch viel zu zaghaft und keineswegs unumkehrbar.
Auch im Bereich der taktischen Nuklearwaffen besteht Handlungsbedarf. Während man über den vermeintlichen Nutzen von strategischen Nuklearwaffen trefflich streiten kann, sind sich eigentlich alle Experten darüber einig, dass die taktischen Nuklearwaffen nach Ende des Ost-West-Konflikts keinerlei sicherheitspolitische Bedeutung mehr haben. Es geht dabei nicht nur um die wenigen Atomwaffen, die noch in Deutschland lagern, sondern um die taktischen Kernwaffen insgesamt, die vollständig abgeschafft gehören.
Die Biowaffenkonvention weiter entwickeln
Die Verwendung biologischer (bakteriologischer) Waffen wurde bereits 1925 durch das Genfer Giftgasprotokoll verboten, einem internationalen Abkommen, das auch den Einsatz bakteriologischer Mitteln im Krieg untersagt. Das 1972 unterzeichnete und 1975 in Kraft getretene Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und toxischer Waffen und ihre Vernichtung - kurz: Biowaffenübereinkommen (Biological Weapons Convention/BWC) - wurde bisher von 167 Staaten unterzeichnet und durch 151 Staaten ratifiziert, darunter alle NATO-Mitglieder sowie Russland, und damit - jedenfalls auf dem Papier - fast universell akzeptiert. Allerdings: Syrien und Ägypten haben das Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Israel hat es nicht einmal unterzeichnet. Im BWC fehlt nach wie vor ein effektives Überprüfungs- und Kontrollsystem. Ein wichtiger Bestandteil eines effektiven Systems sind Inspektionen, die im Verdachtsfall schnell und mit umfassenden Rechten ausgestattet am Ort des vermuteten Normverstoßes durchgeführt werden. Solange es ein solches Kontrollsystem nicht gibt, bleibt das Biowaffenübereinkommen ein Papiertiger, ein Vertrag, der eine Rechtsnorm zwar festschreibt, diese aber nicht durchzusetzen vermag. Daran konnte auch die Überprüfungskonferenz 2006 nichts ändern. Immerhin beschloss man im Schlussdokument 2006 ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm zur Stärkung des BWÜ auf dem Weg zur nächsten Überprüfungskonferenz im Jahr 2011. Daneben wurden zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Umsetzung und fortgesetzten Universalisierung des Übereinkommens vereinbart.
Die Blockade der Genfer Abrüstungskonferenz überwinden
Es steht zu befürchten, dass das gegenwärtige Trauerspiel der Genfer Abrüstungskonferenz in die nächste Runde gehen wird. 2007 ist die jährliche UN-Abrüstungskonferenz nach fast achtmonatiger Dauer wieder einmal ohne Ergebnis beendet worden. Damit geht die Totalblockade ins mittlerweile 11. Jahr, denn die Abrüstungskonferenz ist seit der Verabschiedung des Abkommens über ein Verbot von Atomwaffentests von 1996 blockiert, weil unvereinbare Interessengegensätze jede Bewegung verhindern. Die Teilnehmer konnten sich zum wiederholten Male noch nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen. Die USA weigern sich nach wie vor gegen die Forderung, über eine Reduzierung von Atomwaffen sowie über eine Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum überhaupt zu verhandeln. Im Gegenzug lehnen die Entwicklungsländer Gespräche über ein Verbot der Herstellung von atomwaffenfähigem Material ab. Die Beratungen sollen 2008 wieder aufgenommen werden, sie dürften jedoch - so steht zu befürchten - Ende dieses Jahres wiederum ergebnislos abgebrochen werden. Einige Regierungen reduzieren bereits ihre Delegationen, um angesichts permanenter Untätigkeit wenigstens Kosten zu sparen. Allerdings hat nicht die Diplomatie Schuld am Versagen, die Stagnation ist vielmehr Symptom für die tiefe Krise, in der sich die Rüstungskontrolle seit Jahren befindet. Die Genfer Abrüstungskonferenz, immerhin das weltweit einzige ständig tagende Verhandlungsforum zu Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, droht zunehmend zur Farce zu werden. Dabei wurden in Genf in den 1970er und 1980er Jahren nicht weniger als sieben internationale Verträge für die unterschiedlichsten Abrüstungsbereiche ausgehandelt. Dieses nach wie vor wichtige Forum muss dringend wiederbelebt werden, damit es sich vermehrt für die globale Rüstungskontrolle einsetzen und vor allem im Verifikationsbereich eigene Beiträge leisten kann. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion bleibt es, die Nichtverbreitung von Waffen und Massenvernichtungsmitteln zu sichern und das internationale System der Rüstungskontrolle auszubauen und effizient zu gestalten. Dazu ist jedoch der politische Wille zur Abrüstung bei den Regierungen aller Staaten vonnöten.
Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen verbessern
Während über die Beschränkung und den Abbau von atomaren, biologischen und chemischen Waffen bereits seit Jahrzehnten verhandelt wird, sind Kleinwaffen und leichte Waffen ein relativ neues Thema auf der Agenda der Rüstungskontrolle. Dabei gelten sie aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit und Handhabung als die eigentlichen Massenvernichtungswaffen in Gewaltkonflikten. So finden jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen durch Kleinwaffen den Tod.
Kleinwaffen (Gewehre, Pistolen, Maschinengewehre, etc.) und leichte Waffen (Minen, Mörser, Granatwerfer, Luftabwehrraketen) sind die Waffen die in den so genannten neuen oder "kleinen Kriegen" und Bürgerkriegen zum Einsatz kommen. Vor allem die russische Maschinenpistole Kalaschnikow AK-47, das amerikanische Sturmgewehr M-16 und das deutsche G3-Schnellfeuergewehr sind Bestseller auf dem schwarzen Waffenmarkt, der in diesen Konflikten für Nachschub sorgt. Die Waffen, mit denen weltweit Warlords, Terroristen und Kindersoldaten bewaffnet sind, stammen meist aus überschüssigen Beständen und illegalem Handel. Laut Jahresbericht des Schweizer Projekts "Small Arms Survey" sind gegenwärtig mindestens 875 Millionen Kleinwaffen - also Pistolen, Gewehre und auch tragbare Panzerfäuste - im Umlauf. Dazu gehören viele Waffen, die während und nach den im Zuge der Beendigung des Kalten Krieges ausgelösten politischen Umstürzen, unkontrolliert aus den Arsenalen der Streitkräfte, der Polizei und der aufgelösten Sicherheitsdienste verschwunden sind. Etwa die Hälfte der "verschwundenen" Waffen befindet sich heute im Privatbesitz. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und seinen monströsen High-Tech-Waffen wurde ihnen zunächst wenig Aufmerksamkeit zuteil, obwohl ca. 90 Prozent aller Kriegsopfer der heutigen Zeit gerade durch solche "kleinen" Waffen ums Leben kommen. In den 1990er Jahren wurden in 47 der insgesamt 49 größeren Konflikte Kleinwaffen und leichte Waffen als Hauptkampfmittel eingesetzt.
Kleinwaffenkontrolle ist ein komplexes Thema bei dem Ergebnisse und Erfolge aufgrund der schlechten Datenlage nur schwer messbar sind. Es gibt eine ganze Reihe von Bemühungen auf internationaler Ebene zur Kontrolle von Kleinwaffen bspw. im Rahmen der EU ("Strategie der EU zur Bekämpfung der Anhäufung von Kleinwaffen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition sowie des unerlaubten Handels damit", 13. Januar 2006) und der OSZE ("OSZE-Dokument über Kleinwaffen und leichte Waffen" von 2000). Hervorzuheben ist insbesondere das 2001 verabschiedete "UN-Aktionsprogramm zur Verhütung, Bekämpfung und Unterbindung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen".
Während sich also auf deklaratorischer Ebene einiges getan hat, kommt die Umsetzung des Programms gerade in den betroffenen Regionen nur schleppend voran. Trotz der Einigung auf politisch verbindliche Standards ist weder eine Sanktionierung bei Verstößen noch eine rechtliche Verpflichtung der Staaten, das Aktionsprogramm in nationale Gesetzgebung umzusetzen, vorgesehen. Hinzu kommt, dass Kleinwaffenkontrolle letztlich nur dann effektiv sein kann, wenn die Ursachen für die Nachfrage berücksichtigt werden. Diese liegen im Problemkreis von schwacher Staatlichkeit, defizitären Sicherheitsstrukturen, Armut und Unterentwicklung und entziehen sich deshalb den Kriterien der klassischen Rüstungskontrolle zwischen legitimierten Verhandlungsparteien. Ein weiterer wichtiger Punkt, an dem Rüstungskontrolle und Abrüstung immer wieder an ihre Grenzen stoßen, ist der transnationale Waffenhandel, also der Waffenhandel nichtstaatlicher Akteure an nichtstaatliche Akteure, der wiederum eng verbunden ist mit der organisierten Kriminalität und der Ausbeute von Ressourcen.
2006 fand in New York die erste Überprüfungskonferenz des UN-Aktionsprogramms statt, die jedoch ohne Ergebnis zu Ende ging. Zu den traditionellen Blockierern gehören wichtige waffenproduzierende Länder wie die USA (und die dortige einflussreiche Lobbygruppe "National Rifle Association"), Russland, China, Indien, Pakistan, Iran und Kuba. Neben politischen Gründen spielen auch wirtschaftliche Motive für Blockadepolitiken eine Rolle, obwohl das Gesamtvolumen der Kleinwaffentransfers nur einen kleinen Teil des lukrativen konventionellen Waffenhandels ausmacht.
Fest steht jedenfalls, dass die destabilisierende Anhäufung und unerlaubte Herstellung und der unerlaubte Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen sowie deren unerlaubte Verschiebung in vielen Regionen der Welt bewaffnete Konflikte intensiviert und verlängert, die Dauerhaftigkeit von Friedensabkommen untergräbt, eine erfolgreiche Friedenskonsolidierung behindert, Anstrengungen zur Verhütung bewaffneter Konflikte erschwert und die Bereitstellung humanitärer Hilfe erheblich einschränkt.
Bei aller berechtigten Kritik hat das Kleinwaffenaktionsprogramm immerhin bei einer Mehrheit der Staaten zu einem Bewusstseinswandel geführt und zivilgesellschaftliches Engagement mobilisiert. Auch auf ihren Druck hin haben zahlreiche Staaten begonnen, ihre nationale Gesetzgebung zu überprüfen und die Bekämpfung des Kleinwaffenhandels zu koordinieren. Auch wenn noch eine Menge zu tun bleibt, sind dies doch Schritte in die richtige Richtung.
Stärkung der multilateralen Vertrags- und Exportkontrollregime
Multilaterale Vertrags- und Exportkontrollregime müssen durch unangemeldete Vor-Ort-Inspektionen, den Einsatz neuer Überwachungstechnologien und den Aufbau von qualifizierten unparteiischen Inspektorenteams flankiert werden. Im Rahmen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist darauf hinzuarbeiten, dass alle NVV-Mitglieder umfassende Safeguards-Abkommen und Zusatzprotokolle abschließen und diese zügig in Kraft setzen. Das Recht der IAEA auf Sonderinspektionen auch von nicht-deklarierten Anlagen muss gestärkt und ausgebaut werden. Auch das Programm zum Abbau von Bedrohungen durch atomare, chemische und biologische Waffen (Cooperative Threat Reduction Agreement), die Initiative zum weltweiten Abbau von Bedrohungen (Global Threat Reduction Initiative) und die Initiative zur Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation Security Initiative) sind, ebenso wie die Zusatzprotokolle zum Atomwaffensperrvertrag, innovative Ansätze gegen die Verbreitung von Atomwaffen. Allerdings, anstelle der von den USA bevorzugten Variante einer politischen Koalition von Staaten gegen die Waffenproliferation wäre die vollständige Kodifizierung, Institutionalisierung und Umsetzung des Verbreitungsverbots wesentlich sinnvoller. Die EU sollte deshalb konsequent ihre Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen von 2003 umsetzen, die ebenfalls auf eine bessere Einhaltung des multilateralen Vertragssystems abzielt.
Einen weitereren innovativen Ansatz bieten die Vorschläge zur Internationalisierung des Brennstoffkreislaufes. Dadurch sollen die Versorgung aller interessierten Staaten mit nuklearem Brennstoff zur Energiegewinnung sichergestellt und gleichzeitig die Risiken der Verbreitung nuklearer Waffen gesenkt werden. Ein Vorschlag von Bundesaußenminister Steinmeier sieht u.a. vor, dass die IAEO ein festgelegtes Sondergebiet unter eigener Verwaltung erhält. Dort sollte, auf kommerzieller Basis, eine Urananreicherungsanlage errichtet werden. Der IAEO sollte die alleinige Verantwortung für die Exportkontrolle von nuklearem Brennstoff aus diesem Gebiet obliegen. Über diesen und andere Vorschläge wird derzeit in Wien verhandelt.
Auch die internationalen Rüstungsexportkontrollregime müssen dringend gestärkt und weiterentwickelt werden. Im Rahmen der EU sollte die Bundesregierung für eine möglichst restriktive, einheitliche und transparente Rüstungsexportpolitik sowie eine stärkere Verbindlichkeit des ?Code of Conduct? eintreten.
Die Krise des KSE-Vertrages überwinden
Die jüngste Entwicklung beim Vertrag über konventionelle Rüstungen und Streitkräfte in Europa zeigt, dass die akute Gefahr besteht, dass ein weiteres ausgefeiltes Instrumentarium in Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle ohne Not aufs Spiel gesetzt wird. Der 1990 geschlossene KSE-Vertrag zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt gehört zu den wichtigsten Rüstungskontrollvereinbarungen. Er begrenzt die Zahl der Waffensysteme vom Ural bis zum Atlantik und ermöglicht umfangreiche und regelmäßige gegenseitige Inspektionen. Hintergrund der russischen Vertragsaussetzung vom Dezember 2007 ist vor allem der Streit um die amerikanischen Raketenabwehrpläne und die ausstehende Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrags (AKSE) von 1999 durch die NATO-Staaten. Der Westen macht dies bislang von einem Abzug russischer Truppen aus den früheren Sowjetrepubliken Moldawien und Georgien abhängig. Die bisherige einseitige Aussetzung des KSE-Vertrags bedeutet zwar noch nicht den endgültigen Ausstieg Russlands aus dem Abrüstungsabkommen. Allerdings hat Russland alle seine Verpflichtungen aus dem Vertrag vorläufig eingefroren. So wird Russland die NATO zum Beispiel nicht mehr über Truppenbewegungen und -manöver informieren und auch keine Inspektionen auf eigenem Gebiet mehr zulassen. Auch wenn man in Moskau betont, dass die Entbindung Russlands von seinen Vertragspflichten keine automatische Aufrüstung der russischen Streitkräfte an der Westgrenze bedeute, stürzt Russland das KSE-Regime damit in eine tiefe Krise. Es muss nun von allen Beteiligten alles dafür getan werden, den angepassten KSE-Vertrag (AKSE) zu ratifizieren und das KSE-Regime zu retten. Dazu bedarf es der Bewegung auf allen Seiten und die Fortsetzung des von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Bad Saarow bei Berlin begonnenen konstruktiven Dialogs zwischen den Vertragsparteien. Die dort erwogene Möglichkeit eines graduellen und parallelen Ratifizierungsprozesses des AKSE bei konsequenter gleichzeitiger Erfüllung der Istanbuler Verpflichtungen seitens Russlands könnte einen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Die SPD hat vorgeschlagen, den AKSE-Vertrag im Bundestag zu ratifizieren und damit ein politisches Signal an alle Vertragsparteien auszudenden, dem Beispiel zu folgen. Es liegt im Interesse Deutschlands und Europas, dass Russland wieder in das KSE-System eingebunden wird und der KSE-Vertrag als zentrales Element der rüstungskontrollpolitischen Vertrauensbildung in Europa erhalten bleibt.
Regionale Initiativen in Gang bringen
Im Nahen Osten und in Südasien sollten nukleare Abrüstungsinitiativen in die Wege geleitet werden, die zur Schaffung kernwaffenfreier Zonen in diesen Regionen führen, wie es sie bereits in Mittel- und Lateinamerika, in Afrika, im Südpazifik, in Südostasien und jüngst in Zentralasien gibt. Im Falle des geplanten indisch-amerikanischen Nuklearabkommens sollte Deutschland im Rahmen der "Nuclear Suppliers Group" darauf drängen, dass Indien die Abrüstungsverpflichtung des Artikel VI NVV anerkennt, den NVV selbst unterzeichnet und ein verbindliches Moratorium für die Produktion waffenfähiger Spaltmaterialien erklärt. Auch im Rahmen der NATO sollte Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder stärker in den Fokus genommen werden. Deshalb war die entsprechende Initiative von Außenminister Steinmeier und seinem norwegischen Kollegen Jonas Gahr-Store im Rahmen des NATO-Außenministertreffens in Brüssel am 7. Dezember 2007 ein wichtiges und richtiges Signal. Es ist in der Tat dringend notwendig, dass sich das mächtigste Militärbündnis der Welt wieder verstärkt mit Abrüstung und Rüstungskontrolle beschäftigt und seinen Beitrag dazu leistet. Zumal die Allianz damit an eine gute und erfolgreiche Tradition anknüpfen würde. Auch in der Vergangenheit hat die NATO neben der militärischen Abschreckung immer auch die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit angeboten, sei es im Harmel-Bericht von 1967, in der Londoner Erklärung von 1990 oder im strategischen Konzept von 1999. Der NATO-Russland-Rat, der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, die NATO-Ukraine-Charta, die Partnerschaften für den Frieden und der NATO-Mittelmeerdialog dokumentieren eindrücklich die Bemühungen des Bündnisses um Zusammenarbeit und Kooperation. Es bleibt zu hoffen, dass mit der Abrüstungsinitiative nicht nur das rüstungskontrollpolitische Profil der NATO gestärkt wird, sondern darüber hinaus die Rüstungskontrolle insgesamt aus der Sackgasse geholt und die rüstungskontrollpolitischen Errungenschaften bewahrt werden können.
Ausblick
Abrüstung und Rüstungskontrolle müssen wieder zu einem Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen werden. In den vergangenen Jahrzehnten hat diese Strategie die Welt sicherer gemacht. Während des Ost-West-Konflikts trug Rüstungskontrolle maßgeblich zur Kriegsverhütung und Vertrauensbildung bei. Sie schuf die Voraussetzung für Kooperation und Wandel. Die Begrenzung und der Abbau der strategischen Kernwaffen, die Vernichtung sämtlicher Mittelstreckenraketen, der Nicht-Weiterverbreitungsvertrag, das Chemiewaffenabkommen, die Bio-Waffen-Konvention und die Beschränkung der konventionellen Rüstung in Europa sind nur einige wenige, wichtige Beispiele. Mit der Umsetzung des Verbots von Anti-Personen-Minen und den Kampagnen gegen die Verbreitung von Kleinwaffen und Streumunition hat ein weiterer Akteur die Bühne der Rüstungskontrolle betreten: Ohne die Initiative von Nicht-Regierungsorganisationen wäre das Landminen-Abkommen von Ottawa kaum in Kraft getreten.
Rüstungskontrolle ist kein ?überholtes Konzept?, sondern angesichts neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen notwendiger denn je. Man sollte sich aber keine Illusionen darüber machen, dass es auch künftig Versuche geben wird, Rüstungskontrollverträge zu umgehen und zu unterlaufen. Gleichwohl gibt es zur vertragsbasierten und verifizierbaren Rüstungskontrolle nur eine unvernünftige Alternative. Weltweites nukleares, chemisches, biologisches und konventionelles Wettrüsten. Ein solches liegt in Niemanden Interesse.