Das amerikanisch-indische Nuklearabkommen: Für die Rüstungskontrolle unbrauchbar

Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hatte Ende der 90er Jahre, als Indien und Pakistan die Welt mit Atomtests schockten, Südasien als den gefährlichsten Brandherd der internationalen Politik bezeichnet. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Beide Staaten haben die Territorialstreitigkeiten um Kaschmir noch nicht gelöst und die atomare Aufrüstung schreitet auf beiden Seiten unkontrolliert voran. Pakistan bleibt ein instabiles Militärregime. Die säkulare Gestalt des indischen Vielvölkerstaates ist bedroht und die sozialen Gegensätze zwischen aufstrebenden Zentren und vernachlässigten Peripherien schwächen den inneren Zusammenhalt. Bei seinem Besuch in Indien hätte George W. Bush die Mahnungen seines Vorgängers beachten sollen. Vor allem hätte er den Rüstungswettlauf in Südasien mit neuen Vorschlägen eindämmen müssen. Beides hat er nicht getan. Im Gegenteil: er hat den internationalen Bemühungen, die Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern, einen Bärendienst erwiesen.

Das Abkommen zwischen den USA und Indien, das der indische Ministerpräsident Singh als historisch bezeichnete, umfasst vor allem die Lieferung fortgeschrittener Nukleartechnologie. Indien soll Atomtechnik und Brennstoff auf dem Weltmarkt kaufen dürfen und im eigenen Land zahlreiche neue moderne Atomkraftwerke bauen.

Hinter dem Deal stehen vor allem wirtschaftliche und machtpolitische Interessen der USA: Indien, dessen internationale Stellung durch das Abkommen deutlich aufgewertet wird, gilt als ein riesiger und stark wachsender Absatzmarkt für amerikanische Produkte. Kurz nach Bekanntgabe des Atom-Abkommens wurde zudem öffentlich, dass das Pentagon amerikanischen Firmen erlauben will, Indien im großen Umfang Militärflugzeuge und weitere Rüstungsgüter zu verkaufen Indien wird durch die Übereinkunft darüber hinaus als strategischer Partner der USA im asiatischen Raum gestärkt - im Gegensatz zum strategischen Konkurrenten China.

Das Abkommen mit Indien ist für die Machtinteressen der USA in Asien kurzfristig von Vorteil, es macht die Nichtverbreitungspolitik der USA allerdings unglaubwürdig. Es erteilt Indien im Nachhinein die Absolution dafür, dass das Land über Jahre hinweg ohne internationale Kontrollen Atomwaffen entwickelt und zuletzt 1998 auch getestet hat. Die Konzessionen Indiens im Bezug auf sein Atomprogramm sind viel zu klein für den Nutzen, den es aus den amerikanischen Vergünstigungen ziehen kann. Es hätte sich hier die Chance geboten, viel weiter reichende Zugeständnisse von der indischen Seite nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Rolle bei der Verbreitung von Trägertechnologie zu erreichen. Auch ein institutionalisierter Abrüstungsdialog mit Pakistan sowie ein deutliches Bekenntnis zum Atomteststoppabkommen fehlen.

Die Vereinbarung ist ein Präzedenzfall, der den internationalen Konsens gegen die Weitergabe von Nukleartechnologie an Länder ohne internationale Regeln schwächt. Vor allem behindert es die aktuellen Bemühungen, Iran und Nordkorea vom Bau und Erwerb von Atomwaffen fern zu halten. Die Lieferung von Hochtechnologie an Indien kann auch den Neid des Nachbarn Pakistan hervorrufen und so zu einem verstärkten atomaren Wettrüsten in Südasien führen.

Der amerikanische Kongress und die Gruppe der Nuklearlieferanten, die dem Abkommen beide zustimmen müssen, werden sich zu Recht schwer tun, ohne weiteres ihr Einverständnis zu erteilen. Die Abkehr von einer berechenbaren, alle Akteure gleich behandelnden Politik, die die Verbreitung von Nukleartechnologie verhindern soll, ist in diesem Fall zu deutlich und das Abkommen trotz der Zugeständnisse an die internationale Atomenergiebehörde IAEA kein gutes Zeichen für die internationale Rüstungskontrolle. Das Abkommen könnte zu einer weiteren Aufweichung internationaler Verträge zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen führen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der eskalierenden iranischen Nuklearkrise müssen sich die USA zu Recht vorhalten lassen, hier mit zweierlei Maß zu messen.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Das Nuklearabkommen als Gefahr für das internationale Nichtverbreitungsregime
Veröffentlicht: 
Berlin, 06.03.2006