Kritik an den USA

Der deutsche Bundestag hat am Donnerstagvormittag nahezu zwei Stunden lang über die wachsende Bedrohung der Welt durch Atomwaffen diskutiert. Nicht nur in der Verurteilung der nordkoreanischen und iranischen Atomprogramme, sondern auch in der - mit unterschiedlichen Akzenten vorgetragenen - Kritik an den mangelhaften Abrüstungsbemühungen der Atommächte waren sich die Abgeordneten aller Fraktionen einig.

Zwar krankte die Debatte an den rhetorischen Unzulänglichkeiten aller Beteiligten, mit Ausnahme Jürgen Trittins (Grüne), aber sie gab gleichwohl ein Signal: Die Atomfurcht ist wieder da, die Kernwaffen gehören wieder ins Zentrum der Politik. Und das nicht zuletzt, weil die Gefahr der Weitergabe von Nuklearwaffen an Terroristen droht, wie der abrüstungspolitische Sprecher der SPD, Rolf Mützenich, gleich zu Beginn der Debatte festhielt.

Das Thema der Aussprache sollte eigentlich der Jahresabrüstungsbericht 2004/2005 sein, doch sehr schnell wandte sie sich den aktuellen Bedrohungen zu. Der Bericht beschreibe "zwei schwarze Jahre für die nukleare Abrüstun", sagte die FDP-Abgeordnete Elke Hoff, und sie schloss sich Mützenichs Kritik an den "großen Fünf" an: Damit sind die fünf offiziell im Atomwaffensperrvertrag anerkannten Atommächte gemeint, also Russland, China, Frankreich, Großbritannien und eben auch die Vereinigten Staaten. Diese Länder erneuern ihre nuklearen Arsenale, anstatt ihrer aus dem Vertrag folgenden Verpflichtung zur Abrüstung nachzukommen.

Der Sozialdemokrat Mützenich hatte es freilich nicht bei einer allgemein gehaltenen Kritik belassen. Vielmehr enthielt seine Ansprache Forderungen, die in ähnlicher Form seit Jahren als "New Agenda" kursieren und von einer wechselnden Koalition westlicher und südlicher Länder unterstützt werden: Einführung eines Kernwaffenregisters, Inkraftsetzen des Atomteststoppvertrages, verbindliche Abrüstungsprogramme der großen Fünf.

So mochte es Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg von der Unionsfraktion nicht stehen lassen. Zwar klagte auch er darüber, dass die Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag des vergangenen Jahres ein Fehlschlag gewesen sei, aber dann wand er sich wortreich um die Politik der "großen Fünf" und namentlich um eine Kritik Amerikas herum, sprach recht abstrakt von "komplexen Themenfeldern" und verließ dann das Podium. Was blieb, war nur der eher körperliche Eindruck, von Guttenberg habe sich gegen eine Verurteilung der USA gewandt.

Deutlicher war da schon der deutsche Außenminister. Frank-Walter Steinmeier (SPD) erinnerte daran, dass nach dem Ende des Kalten Krieges weithin angenommen wurde, die Gefahr durch Kernwaffen sei gebannt: "Das war ein böser Trugschluss." Nun müsse die Außenpolitik sich darauf verwenden, die Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrags im Jahre 2010 zu einem Erfolg werden zu lassen. Die G8, in der Deutschland den Vorsitz übernimmt, böte "einen Rahmen dazu, die Arbeit wieder aufzunehmen" und "auch die Abrüstung der Kernwaffenstaaten wieder auf den Tisch" zu bringen. Wie erwartet sprach Steinmeier sich für die "Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs" aus, also für die Einrichtung internationaler Institutionen, denen die Herstellung von spaltbarem Material für friedliche Zwecke ausschließlich obliegt.

Der Minister informierte das Parlament darüber, dass Deutschland am vergangenen Freitag der "Nuclear Suppliers Group" (NSG) angeboten habe, zum ersten Mal in seiner Geschichte den Vorsitz dieses losen Bündnisses aus 45 Staaten zu übernehmen, das Exportbeschränkungen für Kernmaterial formuliert und unter den Beteiligten durchsetzt.

Das allerdings war eine Steilvorlage für seine Kritiker von der Opposition, namentlich Jürgen Trittin. Ebenso wie die Freidemokraten Elke Hoff und Werner Hoyer forderte er von der Bundesregierung, ihr NSG-Vertreter möge in dem Bündnis gegen den Atomdeal zwischen Indien und den USA auftreten. Beide Länder hatten nukleare Zusammenarbeit vereinbart, obwohl Indien nach wie vor nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist und atomar rüstet. Die sozialdemokratische Abrüstungsexpertin Uta Zapf wurde konkreter; sie wies darauf hin, dass die Abmachungen zwischen Indien und den USA noch nicht endgültig seien und "in der vorliegenden Form" den asiatischen Staat mitnichten "an das Nichtverbreitungsregime heranführen" würden (wie der Unionssprecher Eckart von Klaeden behauptete). Um diesen Zweck zu erreichen, müssten die Vereinbarungen noch ergänzt werden: Indien müsse sich zu einem "Produktionsstop von waffenfähigem Nuklearmaterial" bequemen und außerdem zusichern, keine Atomwaffen mehr zu testen.

Trittin beließ es freilich nicht bei der Kritik am Indien-Deal. Er verlangte von der Bundesregierung, sich nur für ein multilaterales Regime für die Herstellung und den Verkauf von Kernbrennstoffen einzusetzen, das auch die fünf Atommächte sowie solche Länder, die wie Deutschland bereits mit dieser Technik Geld verdienen, binden würde - zu Recht, denn andernfalls dürften derartige Vorstöße daran scheitern, dass ihnen von einer Staatenmehrheit unterstellt wird, "nukleare Apartheid" zu errichten.

Sodann traf der Grüne einen wunden Punkt der Regierung: In der (von ZEIT online veröffentlichten) Kabinettsvorlage für das neue Weißbuch der Bundeswehr heißt es über die Atombewaffnung der Nato: "Für die überschaubare Zukunft wird eine glaubhafte Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses neben konventioneller weiterhin auch nuklearer Mittel bedürfen." Dieser Satz müsse von der Regierung gestrichen werden, andernfalls bediene man nur die Logik jener Länder, die jetzt ebenfalls nach Atomwaffen streben.

Autor: 
Von Gero von Randow
Veröffentlicht: 
ZEIT online, 19.10.2006
Thema: 
Rüstungsdebatte im Bundestag: Die nukleare Gefahr wächst