Kohl-Kritik an Merkel stößt auf Zustimmung in der CDU

Die harsche Kritik des Alt-Kanzlers an Angela Merkel kam zwar überraschend, löste aber in Berlin das erwartete Echo aus: Die Opposition sowie die CDU-internen Merkel-Kritiker griffen die Schelte von Helmut Kohl gerne auf, während Merkel selbst die Vorwürfe betont gelassen zurückwies. Allerdings sagte die Kanzlerin ihre für Anfang September geplante Russlandreise ab, um sich ganz der Krisenbewältigung widmen zu können. Merkel wolle sich auch darum kümmern, die wachsenden Zweifel innerhalb der Koalitionsfraktionen an der Euro-Rettung zu zerstreuen, hieß es in Berlin.

Die Opposition nutzte Kohl als willkommenen Stichwortgeber: Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte, sowohl "das Abstimmungsverhalten im Fall Libyen als auch die frühzeitige Festlegung auf Ablehnung eines unabhängigen Palästinenserstaates zeigen, dass die Bundesregierung ohne Abstimmung mit ihren Partnern und ohne Rücksicht auf andere Außenpolitik macht". Westerwelles Politik gerate so zur "Posse".

Klage über die Abwendung von der Wertegemeinschaft des Westens

Namhafte Außenpolitiker der CDU wie Ruprecht Polenz und Philipp Mißfelder schlossen sich der Kritik der SPD an. Angesichts des unklaren Kurses der Union unter Merkel sei es richtig, auf dem nächsten Parteitag über die Orientierung der CDU zu reden, sagte Mißfelder. Polenz und der SPD Außenpolitiker Hans- Ulrich Klose beklagten in einem gemeinsamen Aufsatz für die Fachzeitschrift "Internationale Politik" ebenso wie Kohl eine Abwendung der Bundesregierung von der westlichen Wertegemeinschaft. Unter der Überschrift "Wahre Werte, falsche Freunde" kritisierten sie, dass Deutschland allzu bereitwillig strategische Partnerschaften mit Ländern wie China oder Russland einginge, die von westlichen Werten wenig hielten. Auch die deutsche Enthaltung bei der Libyen-Mission habe "fatale Wirkung" gezeigt.

Merkel selbst bemühte sich, auf die Kritik von Helmut Kohl zurückhaltend zu reagieren. "Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen", meinte die Kanzlerin. Sie lobte ausdrücklich Kohls Lebenswerk, um nicht neuen Streit zu provozieren. Auch Außenminister Westerwelle bestritt den von Kohl gerügten Kurswechsel und die Orientierungslosigkeit in der Außenpolitik. Neben traditionellen Partnerschaften müssten auch neue Kraftfelder in der Welt ernst genommen werden.

Mit Blick auf die Kritik von Bundespräsident Christian Wulff an den Euro-Rettungsversuchen sagte Merkel, das Problem müsse an der Wurzel der zu hohen Schulden gepackt werden. Der CDU-Wirtschaftsrat gab Wulff recht: "Die EZB muss den Kauf von Staatsanleihen endlich beenden", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger dem Handelsblatt. "Mit dem hohen Gut der Unabhängigkeit der EZB darf nicht weiter Schindluder getrieben werden."
 

Autor: 
Von Daniel Goffart
Veröffentlicht: 
Handelsblatt, 26.08.2011
Thema: 
Wegen anhaltender Unruhe in der Koalition sagt die Kanzlerin ihre Russlandreise ab